Die Schnecke
- von Surya Thelen
- •
- 22 Mai, 2019
Eine beziehungsprägende Begegnung

Vor kurzem sah ich, streunend im Wald, eine Schnecke am Wegrand sitzen. Sie ragte halbwegs aus ihrem Gehäuse, ohne sich jedoch zu bewegen. Das hatte mich irritiert und daher meine Aufmerksamkeit entfacht. Bei näherer Betrachtung sah ich, dass sie fraß.
Dieses Bild ließ mich den Tag über nicht mehr los. Und dann fiel mir ein Buch ein, das ich gelesen hatte und noch neben meinem Bett im Bücherstapel lag. „Das Geräusch einer Schnecke beim Essen“ von Elisabeth Tova Bailey (kann ich nur empfehlen). Mein Interesse war geweckt, und ich las es nun noch einmal, weil ich mehr über „meine“ Schnecke wissen wollte.
Das Folgende ist nur ein kleiner Ausschnitt über die Schnecke und es gibt so vieles mehr über sie zu erfahren:
Wissenschaftlich gesehen, ist die Schnecke eine Gastropode -
mit einem muskulösen Kriechfuß. Sie hat bis zu 3000 Zähnen, die naturgegeben
sehr klein, aber messerscharf sind. Sie hat im Mund bis zu 80 Zahnreihen, die
Radula heißen, und jede Zahnreihe wiederum bis zu 33 Zähnen. Je nachdem, wovon
sich die jeweilige Schneckenart ernährt, nutzen sich die Zähne der Reihe nach
ab. Aber es wächst innerhalb von 4 – 6 Wochen eine neue Zahnreihe nach.

Eine Schnecke ist ein Zwitter. Sie verfügt über eine
Magen-Darmtrakt, Herz, Speicheldrüse, Leber, Lunge, Augen, Mund, Niere, Vagina,
Penis, Ei- und Samenleiter und manches mehr.

Mit ihren vier Fühlern, die oberen, längeren besitzen Augen, kann sie tasten und riechen. Was sie nicht kann, ist hören. Ihre Sehkraft ist nicht sonderlich ausgeprägt und beschränkt sich im Wesentlichen auf den Kontrast von Hell und Dunkel. Mit ihren unteren Fühlern ist sie in der Lage zwischen süß, salzig und bitter zu unterscheiden.

Die Windungen des Schneckenhauses verlaufen meistens rechts herum und sind asymmetrisch. Um sich zu paaren, bedarf es einer gleichen Windung des Gehäuses.
„Manchmal sind diese Thiere dem Scheyne nach in Stücke geborsten, gantz und gar zerstört; doch dessen ungeachtet machen sie sich ans Werk und haben binnen weniger Tage sämmtliche Sprünge und Risse repariert…so dass ihr zugrunde gerichtetes Gehäuse vollauf wiederhergestellt ist. Doch sind die Fugen leicht zu erkennen, denn sie sind von einer frischern Farbe als der Rest, ja die gantze Schale ähnelt gewissermaßen einem alten Mantel voll neuer Flicken.“ (zitiert aus: Oliver Goldsmith 1774)
Der Schleim der Schnecken wird Mukus genannt und davon produziert die Schnecke eine ganze Menge am Tag. Dieser Schleim ist für die Schnecke existentiell. Sie benötigt ihn zur Fortbewegung, zur Heilung, für ihr Liebesspiel und zum Schutz der Eier, und letztlich zur Verteidigung ihres Lebens.
Schnecken haben ein Gehirn und ein Gedächtnis.
Lorenz Oken „Lehrbuch der Naturphilosophie“ schreibt: „Bedächlichkeit, Vorsicht sind die Gedanken der (Schnecke)….Welche Majestät in einer kriechenden Schnecke, welche Ueberlegung, welcher Ernst, welche Scheu und zugleich welch festes Vertrauen! Gewiß, eine Schnecke ist ein erhabenes Symbol des tief im Innern schlummernden Geistes.“

Für den Winterschlaf zieht sich die Schnecke in ihr Gehäuse zurück und verschließt die Öffnung ihres Gehäuses mit einer Membran, auch Epiphragma genannt. Diese Membran ist angepasst an die Außentemperatur und damit unterschiedlich dick. Wird es kälter, können es auch mehrere Schleimschichten sein, so dass letztendlich ein dicker Schleimdeckel die Schnecke verschließt.
Laut Gerd Heinz-Mohr, Verfasser des „Lexikon der Symbole“, ist die Schnecke als ein christliches Grabsymbol, Sinnbild der Auferstehung. Da sie im Frühling den Deckel ihres Gehäuses sprengt.
Und zum Schluß noch eine kleine Geschichte, die sich die Sufis erzählen:
Die Tiere hielten Versammlung und beklagten sich über die Menschen, die ihnen immer Dinge wegnahmen. „Sie nehmen meine Milch“, sagte die Kuh. „Sie nehmen meine Eier“, sagte die Henne. „Sie nehmen mein Fleisch als Schinken“, sagte das Schwein. „Sie jagen mich wegen des Öls“, sagt der Wal. Schließlich sprach die Schnecke. „Ich habe etwas, was sie mir sicher wegnehmen würden, wenn sie könnten. Etwas, das sie mehr begehren als alles andere. Ich habe Zeit.“
Nun, die Begegnung mit der Schnecke und die daraus resultierende Beschäftigung mit ihr, hat mein Verhältnis zu ihnen verändert und vertieft. DANKE.




